Sprache schafft Kultur. Daran lässt sich nichts falsches finden. In „meiner Welt“ ist diese Aussage nicht nur wahr. Sie definiert einen Teil meines Denkens und Handelns. Da ich glaube, dass Wörter im richtigen Kontext sehr viel mehr bewegen können, als pures Verständnis für Gesagtes zu schaffen, möchte ich gern auf mein Lieblingswort… oder besser: meine „Lieblingswörter“ eingehen.
(Außerdem ist das meine persönliche Abrechnung mit einer Frage, die ich als Kind immer falsch beantworten musste: “Was ist deine Lieblingsfarbe?” – Ich habe immer gesagt/geschrieben, es sei Blau. Ich mag Blau gar nicht so sehr. Nur: Schwarz ist keine Farbe und wenn, hielten einen andere immer für irre. Besonders Kinder. Ich hätte lieber auf die Frage nach dem Lieblingswort geantwortet. Damals war es das Wort “Lego”. Ich mochte Lego. Heute sind es andere Wörter; Lego mag ich trotzdem noch.)
Lieblingswort 1: Seminarkultur
In der Ausbildung von Dozenten, Lehrern und Coaches wird immer wieder darauf verwiesen, sie sollen zu Beginn einer Unterrichtseinheit Regeln finden, an denen sich die Seminarteilnehmer/Schüler/Studenten… orientieren können. Diese können sein: „Einer spricht, alle anderen hören zu.“; „Gesprochenes bleibt im Raum.“; „Aussagen wie ‘Geht nicht!’ und ‘Kann nicht!’ ändern wir ab.“ (…).
Ich mag das Wort „Regeln“ allerdings nicht und ändere es regelmäßig zu „Seminarkultur“. Das klingt meines Erachtens offener. Regeln sind notwendig, um Kultur zu schaffen. Gleichsam begrenzen sie (…ist ja auch deren Zweck). Ich möchte gern mehr erreichen in meinen Seminaren, weshalb ich Kultur anbiete, anstatt nur Regeln aufzustellen.
Lieblingswort 2: Diskussionsbefreit
Jeder kennt „Is’ so!“ als Kurzform für „Das ist eben/halt so!“. Ein schönes Argument, wenn es keine einleuchtende Begründung gibt oder einem keine einfällt. Da ich „is’ so“ gern mit dem Akronym „I.S.S.O.“ gleichsetze, das ausgeschrieben „Ich Schrei’ SOnst.“ heißt, sei eine verbale Alternative geboten. „Diskussionsbefreit“ schafft genau das. Ein Aspekt, über den ich nicht diskutieren, debattieren oder allgemein reden will, ist diskussionsbefreit.
Lieblingswort 3: Ehefreund*in
Zugegeben, das Wort habe ich von meiner lieben Freundin Dr. Angela Donat übernommen. Sie meinte einmal: „Mit 30+ hat man doch keine ‘Freundin’ mehr. Das ist ‘ne Partnerin. Vielleicht eine ‘Lebensabschnittsgefährtin’ für jene, die chronisch unentschlossen sind. Aber ‘Freundin’?!?“ Irgendwann führte sie „Ehefreund’in“ in den Institutsduden ein. – Find’ ich super! (Eventuell sollte man einen Beziehungsratgeber daraus machen? Ein Blog mit dem Titel “Ehefreund*in” kommt sicher ganz geil. SEO-mäßig auch gut umsetzbar… aber ich schweife ab.)
Lieblingsworte
Meine Lieblingswörter werden regelmäßig zu Lieblingsworten. Ich benutze sie im Alltag. Aufgrund der Unkonventionalität stechen sie heraus, ohne übertrieben zu wirken. Gleichzeitig unterstützen sie – zumindest bilde ich mir das ein – eine gewisse Sprachkultur. Sie beleben einen Text und eine Rede. Lieblingswörter, die zu Lieblingsworten werden, geben einem Text eine besondere Bedeutung. Vielleicht brauchen wir etwas wie eine Initiative: „Lieblingswort“(?). Schlecht wäre es nicht.
(Wer sich gerade fragt, was der Unterschied zwischen Wörtern und Worten ist, klicke bitte HIER. Wer etwas über das komplette Gegenteil, also Hasswörter lesen möchte… gern mehr im gleichnamigen Artikel.)
„Brachialromantik“
Zugegeben, es ist ein Kunstbegriff. Ich habe ihn vor langer Zeit in den Untiefen des Internets in einer Rezension zu Till Lindemanns Gedichtband entdeckt. Bis heute ertappe ich mich immer wieder aufs Neue dabei, wie ich anderen von den „brachialromantischen“ Liedern der Band Rammstein vorschwärme (auch – und besonders – wenn sie mit Rock und Metal so gar nichts anfangen können).
Was mich fasziniert ist die Zwiespältigkeit des Begriffs. Romantische Motive sind gefühlsbetont, setzen sich mit Liebe, Sehnsucht, Fernweh oder der Schönheit der Nacht auseinander. „Brachial“ hingegen sind Handlungen, die unter Gewalteinwirkung oder unter Auferbietung großer körperlicher Kraft ausgeübt werden. Nicht selten hinterlassen sie physischen Schaden.
Diese Gegensätzlichkeit mag ich einerseits an den Texten der Band Rammstein, andererseits auch an dem Begriff „Brachialromantik“. Er fasst das Ganze so schön zusammen, fast als hätte man für den Spruch „Liebe ist Krieg“ ein einziges, viel eloquenteres Wort erfunden.
Man hört das auch am Klang des Wortes: Die Rachenlaute „ch“ und „r“ lassen es harsch und derb klingen, der Teil „Romantik“ tönt im Vergleich dazu schon viel weicher und samtiger. Ein Gedicht in sich!
„geil“ – das geile Lieblingswörter
Wie oft habe ich mich mit einem meiner Kommilitonen beim Schlendern über den Campus unterhalten, mir wurde eine erfreuliche oder witzige Anekdote erzählt und ich rief laut aus: „Boha, wie geil ist das bitte!?“ Ungefähr genau so oft, wie sich mindestens vier Köpfe nach mir umgedreht haben, sich schüttelten oder rot anliefen. Schade eigentlich.
Seit meiner Jugend benutze ich das Wörtchen „geil“ als Adjektiv, das einen wahnwitzigen, lustigen, krassen, … (die Liste an Ersatzwörtern ist lang) Sachverhalt beschreiben soll. Das ist im Prinzip die ursprüngliche Bedeutung von „geil“ im Sinne von „übermütig“, „heftig“ aus dem Indogermanischen bzw. Althochdeutschen. (Anm. v. Ralf: “Nein, ich habe Marielousie nicht gewzwungen, das so nicht schreiben. Die Kollegen heben das Nerd-Level ihrer Artikel eigenständig auf Lvl. 9000“.)
Erst ab dem 15. Jahrhundert wurde es mit negativen Zuschreibungen synonym für sexuelle Empfindungen wie Wollust und Begierde verwendet. Spätestens im prüden 19. Jahrhundert war „geil“ dann endgültig ein Tabuwort und die sexuelle Konnotation wurde zur Hauptbedeutung.
Das ist zwar heute nicht mehr ganz so schlimm, hat dem Wort aber zu seiner Vulgarität verholfen. Ohne Frage: In Bezug auf einen Menschen („Den Thorsten, den finde ich geil!“) trägt das Wort auch heute noch eine sexuelle Bedeutungsebene in sich.
Vor allem in der Jugendsprache wird „geil“ gerne so verwendet, wie ich oben beschrieben habe. Natürlich vor allem deshalb, weil man damit so schön provozieren kann.
Obendrein kann man es so wunderbar absurd steigern durch Präfixe wie „mega-“, „super-“ oder meinen persönlichen Favoriten „end-“geil. Was für ein Spaß.
Ich gebe zu: Ich freue mich diebisch, wenn sich die Gemüter aufheizen, weil jemand „geil“ sagt. Deshalb werde ich damit auch weitermachen, auch wenn es sich vielleicht „nicht gehört“.